feministische Theologie

feministische Theologie
feminịstische Theologie,
 
seit den 1960er-Jahren in Nordamerika und Europa von v. a. christlichen (auch jüdischen) Theologinnen vertretener theologischer Neuansatz auf der Grundlage des Feminismus. Impulse erhielt die feministische Theologie v. a. durch die Frauenbewegung, die ökumenische Bewegung und den Aufbruch in der katholischen Theologie (2.Vatikan. Konzil). Der Versuch einer feministisch-theologischen Systematik wurde erstmals von Rosemary R. Ruether (* 1936) unternommen. Ausgehend von der patriarchalischen und androzentrischen Prägung der Kulturen (und damit auch des Christentums) sieht demnach die feministische Theologie die menschliche Unheilssituation wesentlich im Sexismus und der daraus resultierenden Unterdrückung, Marginalisierung und Diskriminierung der Frauen begründet, denen damit die Möglichkeit zum »vollen Menschsein« (»full humanity«) genommen oder vorenthalten wird; Sexismus wird als individuelle und strukturelle »Sünde« verstanden, die zu der allen anderen Entfremdungen des Menschen zugrunde liegenden »Entfremdung und Entstellung der menschlichen Beziehungsstrukturen« geführt hat. Soteriologisches Ziel ist die Überwindung des Sexismus und ein neues Verhältnis der Geschlechter zueinander, das allen in umfassender Weise die Entwicklung ihres vollen Menschseins (als »Ebenbild Gottes«) ermöglicht (Ruether). Feministische Theologie versteht sich dabei als kontext- und erfahrungsbezogene Theologie (von daher auch der Befreiungstheologie vergleichbar), die speziell von der (vom Sexismus geprägten) Frauenerfahrung ausgeht und von ihr aus die herkömmliche (klassische und gegenwärtige) Theologie als eine Theologie kritisiert, die nur auf männlicher Erfahrung beruht, jedoch vorgibt, allgemein menschlich gültige Aussagen zu machen. Dieser feministisch-theologischen Kritik werden alle Bereiche der Theologie unterzogen. Feministische Theologie ist daher nicht eine theologische Disziplin neben anderen, sondern soll alle Disziplinen (sowie die kirchliche Praxis) durchdringen und verändern. Ungeachtet des gemeinsamen feministischen Ansatzes lassen sich verschiedene, zum Teil stark divergierende Strömungen unterscheiden, die je andere Schwerpunkte setzen oder das Christentum ganz hinter sich gelassen haben (»postchristian«; Mary Daly [* 1928]). Während etwa der Gleichheitsfeminismus die Gleichheit von Männern und Frauen als wesentlich begreift und die Verschiedenheit als sekundär, so sieht der gynozentrische Feminismus die Verschiedenheit als wesentlich an und möchte die Gleichheit sozial realisieren. Die jeweilige feministische Theologie will stärker spezifisch »weibliche« Züge in der Theologie zur Geltung bringen (z. B. in der Gotteslehre durch die Betonung »weiblicher« Eigenschaften Gottes oder den Rückgriff auf matriarchale Mythen und die »Göttin«, in der Christologie durch die Vorstellung eines androgynen Christus, in der Sündenlehre durch den Aufweis vornehmlich weiblicher Untugenden wie falsch verstandener Demut, Passivität und Selbstverleugnung), oder sie betont die ganzheitliche und gleichwertige Natur und Persönlichkeit aller Menschen und bemüht sich auch in den theologischen Aussagen um die Überwindung von Dualismen, hin auf eine ganzheitliche, nicht sexistische Sicht. Neben der Arbeit auf der Theorieebene wächst zunehmend das Bedürfnis nach frauengerechten Ausdrucksgestaltungen des Religiösen im Rahmen einer feministischen Spiritualität.
 
 
M. Daly: Jenseits von Gottvater, Sohn u. Co. (a. d. Amerikan., 1980);
 
Archiv für philosophie- u. theologiegeschichtl. Frauenforschung (1984 ff.);
 R. Radford Ruether: Sexismus u. die Rede von Gott (a. d. Engl., 1985);
 H. Meyer-Wilmes: Rebellion auf der Grenze. Ortsbestimmung f. T. (1990);
 
Wb. der f. T., hg. v. E. Gössmann (1991);
 
Göttinnen u. Priesterinnen. Facetten feminist. Spiritualität, hg. v. C. Pahnke u. R. Sommer (1995);
 
Wie wir wurden, was wir sind. Gespräche mit feminist. Theologinnen der ersten Generation, hg. v. G. Feld u. a. (1998);
 
Kompendium feminist. Bibelauslegung, hg. v. L. Schottroff u. M.-T. Wacker (1999).

Universal-Lexikon. 2012.

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